Vom Sehen und Gesehenwerden von yamimaru ================================================================================ Kapitel 20: Toriado – Dreiklang ------------------------------- Reita:   Ich müsste lügen, würde ich behaupten, mir keine Sorgen um die beiden zu machen. Ich sehe ihnen aus den Schatten der Eingangshalle hinterher, wie sie ein Stockwerk über mir verschwinden. War es eine gute Idee von mir, zu Uruha zu fahren? Aoi hatte mich nachdrücklich darum gebeten, mich nicht einzumischen. Ich hatte mich all die Tage daran gehalten, aber heute früh konnte ich nicht mehr so tun, als wäre mir sein Gemütszustand egal. Ich hatte sehr wohl mitbekommen, dass er kaum schlief, und hätte die Ringe unter seinen Augen nicht einmal dann übersehen können, hätte ich es darauf angelegt. Von seiner trübsinnigen Laune, dem fast manischen Starren auf sein Handy und meiner eigenen wachsenden Unruhe wollen wir erst gar nicht sprechen. Ich seufze, fahre mir durch die Haare und betrete meine Räume, ohne die Tür zu schließen. Sicher ist sicher, ich will mitbekommen, sollte etwas schiefgehen und einer der beiden mich brauchen. Nicht, dass ich damit rechne, aber … Ich schüttele den Kopf, weil ich mich aufführe, wie eine Glucke. Ein Themenwechsel ist nun genau das, was mein überaktives Gehirn braucht und Tora Bescheid zu geben, dass es aus unserem Zocker-Nachmittag bei ihm nichts wird, die Maßnahme, mit der sich das bewerkstelligen lassen sollte.   „Hi Mann, alles fit?“, melde ich mich, als bereits nach dem ersten Einsetzen der Verbindungsmelodie das Gesicht meines Kumpels auf dem Bildschirm des Laptops erscheint.   „Reita, wolltest du nicht längst hier sein?“   „Ich kann gerade nicht weg, tut mir leid“, sage ich und frage mich gleichzeitig, warum? Schließlich spricht nichts dagegen, anzunehmen, dass Aoi und Uruha sehr gut allein zurechtkommen. Jetzt, da sie sich in unmittelbarer Nähe zueinander befinden, besteht Hoffnung, dass sie sich aussprechen werden. Dafür brauchen sie mich nicht. Dennoch widerstrebt es mir, nun zu gehen, und ich weiß ganz genau, woran das liegt.   „Kein Problem, ist was mit Aoi?“   „In gewisser Weise ja.“ Tora kennt mich gut genug, um nicht nachzuhaken, wenn ich ihm nur vage Antworten gebe. Guter Mann.   „Verstehe. Bock online zu zocken?“   „Aber immer.“ Ich grinse und werfe meine Playstation an, während ich höre, wie er im Hintergrund dasselbe tut. „Dann mach dich mal bereit, einer Horde Orks die Köpfe einzuschlagen. Nicht, dass ich die ganze Arbeit wieder allein machen darf.“ Großspurig grinse ich, während Tora nur unbeeindruckt die Augenbrauen hebt und einen großen Schluck aus seiner Flasche Cola nimmt. Stimmt, was zu trinken wäre auch nicht verkehrt. Ich springe auf, als bereits die Startsequenz des Games über den Bildschirm flimmert, schaffe es aller Eile zum Trotz jedoch nicht rechtzeitig mit meiner gekühlten Beute zurück.   „Kann es sein, dass da jemand den Mund zu voll genommen hat?“ Tora lacht dreckig auf, als unsere Gegner bereits auf mich eindreschen, bevor ich überhaupt einen Finger an den Controller legen kann.   „Scheiß Timing für Schadenfreude, Alter, hilf mir lieber!“, blöke ich und lache, als über die Verbindung des Messengers nur ein genervtes Stöhnen zu hören ist. Hach, ich liebe es, an seiner unerschütterlichen Ausgeglichenheit zu kratzen. Irgendwann knacke ich ihn.   ~*~   Zwei Stunden und eine erfolgreich gemeisterte Kampagne später lege ich den Controller beiseite und recke die Arme über den Kopf. Lauthals gähnend sehe ich zu Tora, der mich wissend angrinst.   „Geh schon nachsehen, wie es ihnen geht.“   Ich seufze, nicke jedoch zustimmend. Unerwarteterweise hat er es im Laufe des Spiels geschafft, mich zum Reden zu bringen, und kennt nun die Gründe, weswegen ich das Haus nicht verlassen wollte. Er hat mir mehrmals versichert, dass meine Einmischung richtig und gut war, wobei ich mir selbst da noch immer nicht so sicher bin. Trotzdem hat es gutgetan, mich jemandem anvertraut zu haben, obwohl jetzt wieder die altbekannte Unruhe in mir hochsteigt, die ich die letzten Stunden effektiv verdrängen konnte.   „Danke Mann, für alles“, sage ich rührseliger, als ich jemals zugeben würde, verabschiede mich von meinem Kumpel und schließe den Messenger. Auch die Playstation fahre ich herunter, schalte den Fernseher aus und sitze plötzlich im Dunkeln. Die schwache Wintersonne hatte bereits tagsüber Schwierigkeiten, für ausreichend Licht zu sorgen, und nun – die Uhr an der Wand zeigt 04:27 p.m. an – hat sie den Kampf verloren.   „Dann wollen wir mal“, nuschle ich in die Stille des Raumes, stehe schwungvoll vom Sofa auf und steige die Treppe hinauf, bevor ich es mir anders überlegen kann. In der Küche ist alles dunkel und still; vermutlich haben die beiden es sich im Wohnzimmer gemütlich gemacht. Danach, dass es einen Streit gab oder sie sich die Köpfe eingeschlagen haben, sieht es nicht aus. Wobei Letzteres eher mir zuzuschreiben wäre. Aoi ist nicht mehr der impulsive Teenager von früher und mittlerweile viel zu besonnen, um handgreiflich zu werden, und Uruha traue ich ein solches Verhalten nicht zu. Er ist schwer verliebt in meinen Freund, das konnte ich heute nur zu deutlich sehen, und Aoi geht es genauso. Egal, was er mir und sich selbst einzureden versucht.   Die Küchenlampe surrt leise, als ich sie einschalte und an den Kühlschrank herantrete. Wenn ich schon plane, die Zweisamkeit der beiden zu stören, sollte ich das nicht mit leeren Händen tun. Ich richte eine Auswahl verschiedener Leckereien auf einer großen Platte an und beglückwünsche meine Vorausschau, die mich gestern den hiesigen Feinkostladen hat plündern lassen. Zugegeben, der Plan war, Aoi mit seinen diversen Lieblingsspeisen aus seinen trüben Gedanken zu holen, was mir leider nicht gelungen war. Aufgehoben ist jedoch nicht aufgeschoben und heute hat er sicher mehr Muse, sich auf das gute Essen einzulassen. Ich grinse, als mein Magen ein deutlich hörbares Knurren von sich gibt. Ja, auch ich könnte was zu beißen vertragen und Uruha ist dem bestimmt ebenfalls nicht abgeneigt.   Uruha. Ich kann mich noch immer haargenau an den Blick erinnern, mit dem er mich angesehen hat, als ich ihm vor Wochen zum ersten Mal die Tür öffnete. Neben Scheu und Angst war da etwas gewesen, das etwas in mir auslöste; ein Rufen und Sehnen, dem mein Herz nur zu gerne antworten wollte. Mittlerweile ist dieser kleine Funke zu einem wahren Flächenbrand angewachsen, der mich verschlingt, immer wenn ich auf diese Weise an ihn denke. Ich ahne, dass er diese Gefühle erwidert und doch bleibt ein Rest Unsicherheit, der an mir nagt. In meinem Magen beginnt es zu kribbeln, mir wird heiß und kalt und meine Aufregung schaltet einen weiteren Gang hoch. Mein Grinsen weitet sich. Ich fühle mich, wie ein Teenager vorm ersten Date und kann ums Verrecken nicht sagen, ob ich dieses Gefühl genieße oder verabscheue. Ich schnaube und schüttle kurz den Kopf, um meine Gedanken wieder in geordnete Bahnen zu lenken.   Auf in den Kampf, oder wie heißt es so schön? Ich bin lange genug untätig hier herumgestanden. Mir und meinem gefassten Vorhaben zunickend balanciere ich die voll beladene Platte auf drei Esstellern und klemme mir noch eine Flasche Rotwein unter den Arm, bevor ich einen weiteren Stock nach oben gehe. Kurz vor der Wohnzimmertür halte ich inne – ich bin so verflucht nervös, ist das zu fassen? Wieder schüttle ich den Kopf, diesmal jedoch über mein Verhalten, das so untypisch für mich ist. Tief atme ich durch und bevor ich es mir anders überlegen kann, betrete ich den Raum.   Es ist wie ein Déjà-vu, als das Erste, was ich höre, Uruhas samtene Stimme ist. Mein Blick fällt auf das Sofa, auf dem er sitzt, unser Buch in den Händen, aus dem er vorliest. Aoi hat es sich nicht wie erwartet im Sessel bequem gemacht, sondern hat sich mit geschlossenen Augen auf den Polstern ausgestreckt, den Kopf auf Uruhas Schoß gebettet. Eben jener verstummt in diesem Moment und hebt den Blick, um in meine Richtung zu sehen. Täusche ich mich, oder zeichnet sich eine gewisse Verlegenheit auf seinen schönen Zügen ab? Warum? Bevor ich die Möglichkeit habe, ihn näher zu mustern, öffnet auch Aoi die Augen, obwohl ich mir sicher bin, dass er mich im wenigen Licht, das im Zimmer vorherrscht, nicht erkennen kann.   „Rei?“, erkundigt er sich und ich beeile mich, zustimmend zu brummen. Meiner Stimme vertraue ich gerade nicht, selbst meine Knie fühlen sich weich und zittrig an. ‚Himmel Reita, alter Junge, reiß dich zusammen!‘ Umständlich räuspere ich mich, um wertvolle Sekunden Zeit zu schinden, bevor ich mit der Sprache herausrücke.   „Mir hängt der Magen in den Kniekehlen und ich hatte keine Lust, allein zu essen. Ich hoffe, ich störe nicht?“ Den Nachsatz schiebe ich verspätet meiner Erklärung hinterher; irgendetwas in mir verlangt danach. Vermutlich brauche ich eine Bestätigung, dass die beiden mich um sich haben wollen. Ich verhalte mich eigenartig, das ist mir bewusst. Bei keinem von Aois früheren Liebschaften habe ich mich so gehemmt gefühlt und wollte gleichzeitig so sehr … gemocht werden. Uruha hingegen scheint seine Scheu abgeschüttelt zu haben, wie ein schlecht sitzendes Kostüm, und schenkt mir ein herzliches Lächeln.   „Das ist eine gute Idee, ich könnte auch etwas zu Essen vertragen.“   Aoi nickt zustimmend und setzt sich auf, eine Hand wie selbstverständlich auf Uruhas Oberschenkel gelegt. Ich muss schmunzeln, während ich meine Mitbringsel auf den Tisch stelle und zur Minibar am anderen Ende des Raumes gehe, um Weingläser und einen Öffner zu holen. Es ist schön, Aoi so gelöst und glücklich zu sehen. Im Vergleich zu heute Morgen habe ich nun einen gänzlich anderen Mann vor mir.   „Ich vermute mal, ihr habt alles geklärt?“, frage ich, als ich wieder zurück bin. Über Uruhas Nasenrücken zieht sich eine entzückende Röte, während mein Freund vielsagend grinst.   „So kannst du das sagen“, verdeutlicht er und vereinnahmt Uruhas Lippen demonstrativ lange für sich. Ich muss mich beherrschen, mir nicht wie ein verliebtes Schulmädchen die Fäuste vor den Mund zu halten. Sie sehen so schön zusammen aus, so zufrieden. Während ich die Weinflasche öffne und uns eingieße, kann und will ich ein glückliches Strahlen nicht unterdrücken. Ich freue mich so sehr für die beiden, dass es beinahe wehtut.   „Setzt du dich zu uns?“ Uruha klingt atemlos, als ihm die wenigen Worte über die Lippen kommen, und ich erstarre für einen Sekundenbruchteil in jeder Bewegung. Aoi und er rutschen auseinander, bedeuten mir damit, mich zwischen sie zu setzen. Ich suche Aois Gesicht, sehe dieses geheimnisvolle Lächeln in seinem Mundwinkel, als wüsste er haargenau, wie es gerade in mir aussieht. Eigentlich hatte ich mich auf den Sessel setzen wollen, aber nun? Mein Blick gleitet hinüber zu Uruha, ich finde seine Augen und sehe Nervosität und Entschlossenheit in ihnen flackern. Sein Gesicht weißt eine noch prägnantere Rotfärbung auf, aber er sitzt aufrecht und stolz da, meinen Blick unverwandt erwidernd. Ich nicke, vertraue ein weiteres Mal nicht darauf, dass meine Stimme tut, was sie soll, und setze mich. Die Nähe zu Aoi ist herrlich vertraut, die zu Uruha aufregend und neu. Ich bin ihm nah, sehr nah, aber es scheint ihn kein bisschen zu stören.   Es fühlt sich irreal an, hier zu sein, und gleichzeitig fühle ich mich angekommen. Die Körperwärme der beiden ist wie ein Streicheln, wie ein Kokon, der mich einhüllt und meine Nerven beruhigt. Erst jetzt, da die Anspannung von mir abfällt, merke ich, wie unausgeglichen ich den Tag über gewesen bin. Kein Wunder. Es ist mir alles andere als leicht gefallen, mich über Aois Wunsch hinwegzusetzen und zu Uruha ins Kiseki zu fahren. Dann so offen mit ihm zu sprechen, mich in gewisser Weise verwundbar zu machen, war eine Herausforderung gewesen, die ich mit Überheblichkeit zu verbergen gesucht habe. Gut nur, dass er mir diese nicht übel genommen hat.   Ich belade meinen Teller mit allerhand Leckereien, während ich Aoi informiere, welche Auswahlmöglichkeiten er hat. Mir fällt gar nicht mehr auf, dass ich das tue, erst Uruhas interessierter Seitenblick macht es mir bewusst. Ich zucke mit den Schultern und schenke ihm ein schiefes Schmunzeln, bevor ich die Häppchen, für die Aoi sich entschieden hat, auf seinem Teller drapiere und diesen leicht gegen seine Hand halte.   „Danke, lieb von dir“, murmelt er, greift nach dem Teller und schenkt mir ein so schönes Lächeln, dass ich ihm dieses am liebsten direkt von den Lippen geküsst hätte. Habe ich schon erwähnt, wie froh ich bin, dass es ihm endlich wieder gut geht? Für den Moment unterdrücke ich diesen Impuls jedoch, ahne, dass ich meine Sinne beisammenhalten muss.   „Lasst es euch schmecken“, sage ich also, froh darüber, dass meine Stimme kräftig und meine Worte nicht unsicher klingen. Ich bin ein guter Schauspieler, nicht wahr? Aoi unterbricht die eingetretene Stille damit, dass er die Multimediaanlage anwirft und sich für einen Rocksender entscheidet, der meinen Ohren schmeichelt. Mein Blue weiß eben, wie er mir eine Freude machen kann.   Unerwartet spüre ich eine Berührung an meiner Wange, ein sanftes Streicheln, das mich so überrascht, dass ich selbst das Atmen vergesse. Es ist Uruhas Finger, der über meinen Mundwinkel reibt. Ich drehe den Kopf, blinzele ihn überrumpelt an.   „Du hattest etwas Frischkäse dort“, erklärt er mit rauer Stimme, zeigt mir den kleinen, weißen Klecks auf seiner Fingerkuppe und tut dann etwas, was die Synapsen in meinem Gehirn durchbrennen lässt – seine Lippen nippen an seinem Finger und eine vorwitzige Zungenspitze blitzt hervor, um sich den Frischkäse einzuverleiben. Ich kann nicht mehr denken, mein Körper besitzt plötzlich ein Eigenleben und reagiert nur. Mit einem Mal liegt meine Hand in Uruhas Nacken und meine Lippen sind den seinen so nah, dass es kaum eine Vorwärtsbewegung braucht, um sie küssen zu können. Verflucht, weiß er, was er mit mir anstellt? Ich fühle seinen Atem auf meiner Haut, spüre das feine Zittern, das sich von ihm auf mich überträgt. Mir ist bewusst, dass ich jetzt schon zu weit gegangen bin, dass ich mich zurückziehen, ihm seinen Freiraum geben sollte. Aber unsere Blicke haben sich ineinander verhakt und genauso, wie ich nicht wegsehen kann, kann ich mich auch nicht von ihm lösen. Allerdings muss ich das auch gar nicht, wie ich keine Sekunde später feststelle, als nicht ich es bin, der den Abstand zwischen uns überbrückt. Ein kleiner Laut entkommt mir, während mir zeitgleich die Augen zufallen. Hitze sammelt sich in meinem Magen und mein Herz schlägt wild und heftig in meiner Brust.   Uruha küsst mich, ich küsse ihn, und ich hätte in diesem Moment nicht beschreiben können, wie unfassbar gut und richtig sich das anfühlt. Tastende Finger suchen meine Hand; ich greife nach ihnen, wie nach einem Rettungsanker, der verhindert, dass mich die Euphorie auf ihren Schwingen davonträgt. Denn ich möchte in diesem Augenblick nirgends lieber sein, als exakt hier an diesem Ort mit diesen beiden Männern. Ich drücke Aois Finger, vielleicht etwas zu fest, aber er beschwert sich nicht, streichelt nur mit dem Daumen über meinen Handrücken, während ich mich in den Rausch fallenlasse, der Uruhas Kuss für mich ist.   Ich kann nicht sagen, ob Minuten oder Stunden vergangen sind, als er sich langsam von mir zurückzieht. Ich lecke mir über die Lippen, lasse das glückliche Grinsen frei, das so vehement an meinen Mundwinkeln zupft.   „Damn, you taste so good.“ Er senkt die Lider, als ihm ein quirliges Kichern über die Lippen kommt.   „Wie kannst du so was sagen?“, fragt er noch immer lächelnd und atmet dann einige Male tief ein und wieder aus. „Ich bin nervös“, gesteht er und meine Mundwinkel heben sich, als ich zugebe, dass es mir keine Spur besser geht. Aoi hinter mir schnaubt amüsiert und ich schnippe gegen seinen Handrücken. Er tut sich leicht, er konnte sich bereits an dieses Wunder namens Uruha gewöhnen, ich nicht. „Das … das meine ich nicht.“ Unerwartet wird sein Gesichtsausdruck ernst, nimmt die Leichtigkeit mit sich, die sich bis eben über uns gelegt hat. Er presst die Lippen aufeinander und ohne den Blick zu senken, streicht er sich die Haare hinter die Ohren. Im ersten Moment verstehe ich diese Geste nicht, begreife nicht, weshalb seine Hand zittert, als er sie auf meine Brust legt. „Bist du dir wirklich sicher, dass du hier ein Plätzchen für mich frei hast?“ Es ist niedlich, wie Uruha meine Worte nun für sich benutzt und beinahe hätte ich genickt, ohne näher darüber nachzudenken. Aber da bewegt er sich, dreht sich mehr ins Licht, und jetzt sehe ich sie. Sein Make-up ist verwischt, gibt einen kleinen Teil geröteter Haut preis. Haut, die wulstig-vernarbt aussieht.   „Oh my precious Uruha“, entkommt mir in einem fassungslosen Hauchen. Meine Finger zucken, aber ich wage es nicht, seine Wange zu berühren. Stattdessen lege ich sie über seine Hand, die noch immer auf meiner Brust ruht. Seine Augen werden glasig, eine erste Träne formt sich, aber noch bevor sie fallen kann, halte ich sie auf, streiche sie sanft fort. „Das ändert nichts, verstehst du? Überhaupt nichts.“ Ich kann nicht anders, lehne mich vor und drücke ihm einen Kuss auf die Stirn. Aois Hand liegt noch immer auf meinem Oberschenkel und sein stummer Rückhalt tut mir in diesem Moment unheimlich gut. Endlich begreife ich, wovor Uruha so große Angst hatte, dass er davongelaufen ist. Was ihn so gequält hat, als ich ihn heute im Kiseki besucht habe. Was ist ihm zugestoßen? Was musste er alles erleiden, um so schmerzhaft verunsichert zu sein? Dutzende Fragen kreisen in meinem Kopf, aber ich lasse nicht zu, dass sie mein Denken für sich einnehmen. Das Hier und Jetzt ist wichtiger, Uruha ist wichtiger und mein Wunsch, ihm wenigstens einen Teil seiner Angst nehmen zu können.   „Du findest mich nicht abstoßend?“, fragt er im selben Moment um ein Schluchzen herum und ich reagiere, bevor ich darüber nachdenken kann, ziehe ihn näher, halte ihn ganz fest.   „Never. You’re gorgeous, Darling.“   „Sag doch nicht immer so schöne Dinge“, jammert er irgendwo unter meinem Kinn in mein Shirt. Ich grinse.   „Daran wirst du dich gewöhnen müssen. Aber im Ernst. Ich verstehe deine Angst, doch die Narbe ist ein Teil von dir und ganz sicher nichts, was meine Gefühle für dich schmälert.“ Er presst sich fest an mich und im selben Moment legen sich Aois Arme von hinten um mich, kann ich seinen warmen Atem an meinem Ohr spüren. Eine Gänsehaut rinnt mir über den Rücken, lässt mich wohlig erschauern.   „Gut gemacht, Rei.“ Ein Kuss folgt seinen gewisperten Worten und ich fühle unendliches Glück in mir aufwallen. Meine wundervollen Männer … das klingt doch sicher nicht nur in meinen Ohren gut, oder? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)